Prävention in Schwangerschaft und Stillzeit: Zu Folat intensiver beraten (2024)

PZ-Originalia

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Folate kommen in zahlreichen pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln vor. Besonders folatreich sind grüne Blattgemüse, die verschiedenen Kohlarten, Tomaten und Gurken, aber auch Brot und Backwaren aus Vollkornmehl, Kartoffeln, Leber und Hülsenfrüchte. Durch die Lagerung und Zubereitung von Lebensmitteln können bis zu 90 Prozent des Vitamins verloren gehen. Denn Folat ist extrem licht-, hitze- und oxidationsempfindlich.

Von den natürlich vorkommenden Folaten abzugrenzen ist die synthetisch hergestellte Folsäure (Pteroylmonoglutaminsäure, PGA). Sie kommt bei der Anreicherung von Lebensmitteln, in Supplementen und in Medikamenten zum Einsatz. Folsäure selbst besitzt keine Vitaminfunktion. Sie wird erst bei der Resorption in der Mucosazelle und anschließend in der Leber in die eigentlichen vitaminwirksamen Folatverbindungen überführt. Beim Menschen stellt 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) mit circa 98 Prozent den quantitativ wichtigsten Metaboliten dar (3).

Folat in Schwangerschaft und Stillzeit

Folate sind vor allem an Prozessen der Zellteilung und damit an der Zellneubildung beteiligt. Eine besondere Bedeutung kommt Folat deshalb in Phasen verstärkten Wachstums zu. Eine adäquate Zufuhr ist für Frauen mit Kinderwunsch bereits vor der Befruchtung wichtig. Denn das Neuralrohr, eine Vorstufe des Gehirns und Rückenmarks, schließt sich schon zwischen dem 22. und 28. Schwangerschaftstag. Zu diesem Zeitpunkt wissen viele Frauen noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Um Störungen beim Neuralrohrverschluss, die in eine Spina bifida (»offener« Rücken) oder Anenzephalie (»Froschkopf«) münden können, vorzubeugen, müssen bereits vor der Schwangerschaft präventiv wirksame Eryhtrozytenfolatspiegel (EFS) aufgebaut werden. In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass zur optimalen Risikoreduktion von Neuralrohrdefekten (NRD) ein EFS von über 906 nmol/l erforderlich ist (4). Für Deutschland berechnete Daten ergeben, dass 87 Prozent der Frauen Erythrozytenfolatkonzentrationen unter 906 nmol/l aufweisen. Damit haben sie ein zwei- bis achtfach erhöhtes Risiko, ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt zu bekommen (5). Die primäre Prävention eines optimierten Folatstatus ist auch für Fehlbildungen des Herzens, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und andere Anomalien gezeigt worden (6, 7). Nach der Embryonalphase ist die Folatversorgung ebenfalls von großer Bedeutung. Denn der Bedarf steigt infolge der Vergrößerung des Uterus, der Zunahme der mütterlichen Erythrozytenzahl sowie des fetalen Wachstums weiter an. Um das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie Plazentaablösungen, Aborte, vermindertes Geburtsgewicht oder Frühgeburten zu reduzieren, sollten Frauen während der ganzen Schwangerschaft auf eine ausreichende tägliche Folatversorgung achten.

Die reife Muttermilch enthält im Durchschnitt 8 µg Folat pro 100 ml. Damit nimmt ein voll gestillter Säugling bei einer Trinkmenge von 750 ml circa 60 µg Folat pro Tag auf (8). Die Folatkonzentration in der Muttermilch ist etwa fünf- bis zehnmal höher als die entsprechende Konzentration im mütterlichen Serum. Ein aktiver Konzentrierungsmechanismus stellt sicher, dass der Säugling in Phasen verstärkten Wachstums genügend Folat für eine optimale Zellvermehrung erhält (9). Dies geschieht bei zunehmender Verarmung der mütterlichen Reserven, sofern diese nicht durch eine bedarfsdeckende Zufuhr aufrechterhalten werden.

Empfehlungen zur Folatzufuhr

Da der Körper Folat nicht selbst synthetisieren kann, ist er auf eine ausreichende Zufuhr über die Nahrung angewiesen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt gesunden Jugendlichen und Erwachsenen eine tägliche Folatzufuhr mit der Nahrung in Höhe von 400 µg (2). Für Schwangere und Stillende gehen die Experten von einem Mehrbedarf von 50 Prozent, entsprechend einem täglichen Gesamtbedarf von 600 µg, aus. Frauen die schwanger werden wollen oder könnten, wird konkret empfohlen, zusätzlich 400 µg synthetische Folsäure in Form von Supplementen aufzunehmen. Diese erhöhte Folsäurezufuhr sollte spätestens vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft erfolgen, um einem NRD vorzubeugen, und während des ersten Drittels beibehalten werden. Frauen, die bereits ein Kind mit NRD haben, sollten sogar 4 mg Folsäure pro Tag supplementieren.

Aus placebokontrollierten Studien kann abgeleitet werden, dass die Empfehlungen, die zu einer Supplementierung von 400 µg Folsäure vier Wochen vor der Konzeption raten, nicht ausreichen. Bei dieser Dosierung werden präventiv wirksame Erythrozytenfolatspiegel erst nach cirka zwei bis drei Monaten erreicht (10). Bei einer täglichen Supplementierung von 800 µg Folsäure werden dagegen die optimalen Werte im Durchschnitt bereits nach circa vier Wochen aufgebaut (11).

Die Daten der Nationalen Verzehrsstudie (NVS) II zeigen ebenso wie frühere Ernährungserhebungen, dass die Folatzufuhr in Deutschland weit unterhalb der generell empfohlenen Menge von täglich 400 µg Nahrungsfolat pro Tag liegt (12). Frauen nehmen im Mittel nur 252 µg Folat pro Tag mit der Nahrung auf. Damit erreichen 86 Prozent noch nicht einmal die generell empfohlene Zufuhr von 400 µg pro Tag. Legt man diese Daten zugrunde, weisen Schwangere und Stillende beachtliche Versorgungslücken auf. Für diese Zielgruppe ist es kaum möglich, den Mehrbedarf durch normale Nahrung zu decken. Darauf weist auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in einem Positionspapier hin (1). Um den Empfehlungen entsprechend 600 µg Folat täglich aufzunehmen, sollte Frauen deshalb auch während des zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittels sowie in der Stillzeit geraten werden, das Defizit von rund 400 µg Nahrungsfolat pro Tag durch geeignete Supplementierung auszugleichen.

5-MTHF synthetisch herstellbar

Aufgrund einer genetischen Disposition (»Enzympolymorphismus«) kann jede zweite Frau Folsäure nicht optimal in die wichtigste Transport- und Speicherform 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) umwandeln. Das Schlüsselenzym dabei ist die 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR). Eine Punktmutation an diesem Enzym reduziert die Enzymaktivität bei hom*ozygot Betroffenen (10 bis 12 Prozent) um etwa 75 Prozent, bei heterozygoten Merkmalsträgern (circa 40 Prozent) um ungefähr 30 Prozent (13). Verschiedene Studien haben inzwischen gezeigt, dass Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen beziehungsweise Frauen, die ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt haben, häufiger hom*ozygote Genotypen aufweisen und selbst heterozygote mit einem erhöhten Risiko behaftet sein können (14, 15, 16).

Bei der Bedarfsdeckung mit Nahrungsfolat ist es ohne Belang, ob ein genetischer Polymorphismus im Enzym MTHFR vorliegt. Erfolgt jedoch eine Supplementierung mit Folsäure, ist die Umwandlung von synthetischer Folsäure zu 5-MTHF bei hom*ozygoten und heterozygoten Trägern nur eingeschränkt möglich. Diese Personen profitieren optimal von der bereits bioaktiven Vitaminform 5-MTHF, die mittlerweile als Calcium-L-Methylfolat (Metafolin®) synthetisch herstellbar ist. Nachdem das wissenschaftliche Gremium der European Food and Safety Agency das von Merck entwickelte und patentierte Calcium-L-Methylfolat als sicher erachtet hat, wurde die Substanz von der Europäischen Kommission im März 2006 in die Richtlinien für Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel aufgenommen (17). Der teilweise Austausch von Folsäure gegen Calcium-L-Methylfolat (zum Beispiel in Femibion® 800 Folsäure Plus Metafolin® oder Femibion® 400 Folsäure Plus Metafolin® + DHA) ermöglicht damit eine breitenwirksame Prävention auch für die 50 Prozent der Frauen, die hom*ozygot beziehungsweise heterozygot betroffen sind und Folsäure nicht optimal umwandeln und verwerten können.

Literatur

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Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Positionspapier: Strategien zu Verbesserung der Folatversorgung ­ Nutzen und Risiken, Oktober 2006: www.dge.de/pdf/ws/DGE-Positionspapier-Folatversorgung.pdf

Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 1. Auflage, 3. vollständig durchgesehener und korrigierter Nachdruck 2008. Umschau/Braus, Frankfurt/Main.

Pietrzik K. et al.: Handbuch Vitamine.1. Auflage, 2008, Urban & Fischer Verlag, München

Daly L. E. et al.: Folate levels and neural tube defects -­ implications for prevention. JAMA 274 (1995), 1698-1702

Thamm M.: Folsäureversorgung von Frauen im gebärfähigen Alter. Berliner Ärzte 8 (2001), 21-24

Czeizel A.E.: The primary prevention of birth defects: multivitamins or folic acid? Int J Med Sci 1 (1) (2004), 50-61

Wiclox A.J. et al.: Folic acid supplements and risk of facial clefts: national population based case-control study. Br Med J 334 (7591) (2007), 464

Souci S.W. et al.: Die Zusammensetzung der Lebensmittel. Nährwert-Tabelle. 7. Auflage, 2008, medpharm Scientific Publishers, Stuttgart

Selhub J. et al.: Intestinal transport of 5-methyltetrahydrofolate. Am J Physiol 246 (5 Pt 1) (1984), G515-520

Lamers Y. et al.: Red blood cell folate concentration increase more after supplementation with [6S]-5-methyltetrahydrofolate than with folic acid in women of childbearing age. Am J Clin Nutr 84 (2006), 156-161

Pietrzik K. et al.: Randomized, placebo-controlled, double-blind study evaluating the effectiveness of a folic acid containing multivitamin supplement in increasing erythrocyte folate levels in young women of child-bearing age. Ann of Nutr & Metab 6.7.29 S 368 (2005)

Nationale Verzehrsstudie II (NVS II), herausgegeben vom Max-Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2008: www.mri.bund.de/cln_045/[...]

Frosst P. et al.: A candidate genetic risk factor for vascular disease: A common mutation in methylenetetrahydrofolate reductase. Nat Genet 10 (1995), 111-113

van der Molen E. F. et al.: A common mutation in the 5,10-methylenetetrahydrofolate reductase gene as a new risk factor for placental vasculopathy. Am j Obstet Gynecol 182 (5) (2000), 1258-1263

Nurk E. et al.: Associations between maternal methylenetetrahydrofolate reductase polymorphism and adverse outcome of pregnancy. The Hordaland hom*ocysteine Study. Am J Med,117 (2004), 26-31

Mtiraoui N. et al.: Methylenetetrahydrofolate reductase C677T and A1298C polymorphism and changes in hom*ocysteine concentrations in women with idiopathic recurrent pregnancy losses. Reproduction 131 (2006), 395-401

Richtlinie 2006/34/EG der Kommission vom 21. März 2006 zur Änderung des Anhangs der Richtlinie 2001/15/EG zwecks Aufnahme bestimmter Stoffe und Richtlinie 2006/37/EG der Kommission vom 30. März 2006 zur Änderung von Anhang II der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zwecks Aufnahme bestimmter Stoffe

Anschrift des Verfassers:

Dr. Petra Suske-Zirpel

Senior Medical Manager

Merck Selbstmedikation GmbH

Rößlerstraße 96

64293 Darmstadt

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